Dies Domini – 28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Bischöfe träumen oft davon, dass man nur genug missionieren – Verzeihung, heute sagt man „evangelisieren“ – muss, und schon wächst die Kirche wieder. In Zeiten steigender Kirchenaustrittszahlen scheint es also nur eine Frage der Methode oder des Marketings zu sein, um der Kirche wieder Mitglieder hinzuzufügen. Da verhält es sich mit der Kirche wohl tatsächlich nicht anders als mit Vereinen, Gewerkschaft und Parteien. Als weltlich Ding schaut auch sie vor allem auf den quantitativen Zuwachs, der wohl als Zeichen des Erfolges gewertet wird. Ist es tatsächlich Zufall, dass aus der guten alten Pastoraltheologie vielerorts Marketingkonzeptionsinstitute geworden sind, deren Wirksamkeit sich in Abozahlen, Buchungsbestätigungen für institutionseigene Projekte oder Click-Zahlen digitaler Angebote messen lassen. Dieses neue pastorale ABC macht aus der Kirche ein Unternehmen, das natürlich in das Portfolio von Unternehmens- und Organisationsberatungen passt. Zweifelsohne sind unter den vermarkteten Projekte feine Angebote für Auge und Nase, für Herz und bisweilen auch fürs Hirn. Ob aber ein olfaktorisches Projekt oder ein visuelles Ereignis pastoral ist, entscheidet sich mittlerweile wohl eher vom Ort des Geschehens her: Was in einer Parfümerie dem Konsum dient, wird durch den sakral determinierten Kirchenraum spirituell verbrämt; was im Club als Lichtshow gefeiert wird, wird an heiligen Orten plötzlich als Leuchten des himmlischen Jerusalem gewürdigt. Offenkundig macht die Verpackung das Eigentliche aus, auch wenn der Inhalt nahezu identisch ist. Es ist wie bei einem Schockriegel, bei dem sich tatsächlich eigentlich nix änderte, außer dem Namen …
Tatsächlich scheinen die ekklesialen Marketingkonzepte wenig erfolgreich zu sein – jedenfalls wenn man auf die weiterhin hohen Austrittszahlen schaut. Die Mitglieder werden durch kein noch so tolles Marketing gehalten; neue Mitglieder werden kaum hinzugewonnen. Allein von diesem Standpunkt aus betrachtet, scheint das pastoraltheologisch entwickelte Marketing eher von ausbleibendem Erfolg geprägt zu sein …
Nun hält just am 28. Sonntag im Jahreskreis des Jahres 2022, einem Lesejahr C, wenige Tage nachdem im Rahmen der Wallfahrt der Ministrantinnen und Messdiener der Erzdiözese Köln anlässlich während einer Predigt dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki aus Protest den Rücken zukehrten ein bemerkenswertes Evangelium zur Verkündigung bereit. Offen blieb, wogegen die Akteure nun genau protestierte: Gegen die Haltung des Erzbischofs zu Lebensweisen, die nicht heterosexuell sind, gegen die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln, gegen die Kölner Hochschule für Katholische Theologie, gegen das erzdiözesane Strukturprojekt #Zusammenfinden oder gegen die Person des Erzbischofs an sich … Die Protestaktion, bei der ca. 200 von 2.000 anwesenden Ministranten mitmachten, war trotzdem eindrücklich – so eindrücklich, dass der Erzbischof Predigt Predigt sein ließ und einige Worte an die Protestierer richtete: Jesus habe auch niemand den Rücken zugekehrt, sondern sei immer den Menschen zugewandt gewesen.
Nun könnte man dem Erzbischof entgegnen, dass das Neue Testament, was die Handlungsweise Jesu angeht, da durchaus einige Beispiele bereit hält, bei denen sich die Zuwendung Jesu doch eher in Grenzen hält. Man denke nur an seine Tempelaktion, mit der er sich gegen den Tempelkult wendet (vgl. Mk 11,15-19 parr und Joh 2,13-25), oder an die Wehereden gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 23,1-39 parr) – ein Handeln und Worte, die alles andere als zugewandt sind. Die Altarassistentinnen und -assistenten könnten ihr Handeln also durchaus durch das Verhalten Jesu gedeckt wissen – auch wenn das Rückenkehren als solches wenig kommunikativ ist. Die Kommunikation immerhin hat Jesus auch in Drohreden und prophetischem Handeln aufrecht erhalten – wenn auch sicher nicht im Sinne seiner Kritiker. Wäre es deshalb nicht klug gewesen, den Jugendlichen Wege zur Kommunikation zu eröffnen und ein echtes Forum zur Kritik zu bieten? Was wäre das wohl für eine Homilie geworden, hätte der Erzbischof die, die ihm den Rücken zukeht, ermutigt, zu sprechen, sich auf die Stufen der Basilika gesetzt und zugehört – und dann vielleicht auch auf die Kritik eingehend geantwortet? Was wäre wohl geschehen? Hätte sich die einen dem anderen nicht vielleicht wieder zugewendet und umgekehrt? So blieb die Kritik wortlos stehen – und die Messe wurde weitergefeiert …
Im Evangelium vom 28. Sonntag im Jahreskreis erlebt Jesus, wie ihm der Rücken zugekehrt wird. Das ist auf den ersten Blick gar nicht so ersichtlich. Bei genauem Hinschauen aber, kann man es erkennen. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Er ist noch vor Jericho. Dort wird er erst im 19. Kapitel des Lukasevangeliums eintreffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet er sich zwischen Samaria und Galiläa – möglicherweise im Jordantal. Es ist die Zeit, in der sich sein Ruf von Galiläa aus verbreitet und ihm die Menschen begeistert begegnen. Vielleicht ahnt er die bevorstehende Auseinandersetzung. Die allgemeine Stimmung aber scheint eher gut zu sein. Bevor er auf seiner Wanderung in ein Dorf kommt, begegnen ihm zehn Aussätzige. Man erfährt wenig von der Art des Aussatzes. Lepra ist möglich, Psoriasis aber auch. Schuppenflechte wurde in jenen Zeiten ebenso gelegentlich mit Lepar verwechselt wie die Krätze. Wie auch immer: Die Erkrankten wurden ausgesondert und mussten sich aus Gründen des Infektionsschutzes außerhalb der Gemeinschaft aufhalten. Deshalb begegnen sie Jesus, bevor der das nächste Dorf betreten kann. Sie waren den gebotenen Abstand und rufen ihm aus der Ferne zu:
Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! (Lk 17,13)
Sie geben Jesus die Ehre: Meister – griechisch: ἐπιστάτης (epistátes), ein Wort, das nur im Lukasevangelium verwendet wird, dort aber gleich sechsmal. Wörtlich bedeutet es soviel wie „Wissender“ oder „jemand, der Erkenntnis hat“. Die Hilfesuchenden erkennen also an, dass Jesus über Wissen für ihre Heilung verfügt. Dann aber passiert … nichts. Keine Berührung, kein Zuspruch, keine Heilung. Jesus bleibt auf Distanz. Allerdings schickt er sie zu den Priestern – jener rechtlichen Voraussetzung für die Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft nach erfolgter Heilung. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Auf dem Weg zu den Priester werden sie rein. Der Hautausschlag verschwindet. Ob auf wunderbare, übernatürlich Weise oder wissenschaftlich erklärbar – wir wissen all das nicht. Nicht nur die Diagnose wird nicht überliefert, so dass die Krankheit als solches unbekannt bleibt, auch eine mögliche Selbsttherapie bleibt unerwähnt. Die Schilderung ist zu dünn, um ein supranaturalistisches Wunder zu konzidieren. Es geht auch um etwas anderes. Es geht um die Wiederherstellung von Gemeinschaft, die durch priesterliche Prüfung und Spruch erwirkt wird. Das ist das Ziel.
Umso erstaunlicher ist es, dass von den zehn ehemals Ausgeschlossenen nur einer zu Jesus zurückkehrt. Ausgerechnet ein Samariter, also einer, der aus Sicht der Galiläer und Judäer eben nicht gemeinschaftsfähig ist. Die anderen gehen weiter zu den Priestern. Ganz sicher werden sie nicht wieder krank geworden sein. Sie gehen weiter, wie Jesus es ihnen gesagt hat – und wenden ihm dabei den Rücken zu. So gehen sie wieder in ihr Leben zurück, zu ihren Familien, heil und rein – und sie werden möglicherweise von dieser Begegnung erzählt haben.
Der eine aber kehrt zu Jesus um und gibt ihm die Ehre. Es hätte möglicherweise auch wenig gebracht, wenn er zu den Priestern gegangen wäre, die für ihn, den Samariter, gar nicht zuständig sind. Seine Reinheit wird von Jesus festgestellt. So wird er, der Fremde, zum Vorbild für die Umstehenden:
Dein Glaube hat dich gerettet. (Lk 17,19)
Die Frage Jesu, wo denn die anderen seien, kann da nur rhetorisch sein. Sie führen doch das aus, was er ihnen geboten hat. Auch sie haben doch auf ihn vertraut. Auch sie sind rein geworden. Auch ihre Glaube hat sie gerettet. Das ist die Botschaft dieses Evangeliums: Ermächtige dich selbst. Wenn du vertraust, wird vieles möglich werden.
Die Erfolgsquote Jesu scheint also bei gerade einmal 10% zu liegen. Die anderen 90% aber sind nicht verloren. Sie gehen in ihr Leben zurück – und tragen die Saat der Erfahrung mit Jesus weiter an Orte, von denen nichts überliefert ist. Aber sie werden gesät haben. Kirche ist nicht Ziel von Marketing und Verkündigung; Kirche ist die Methode, das Wort Gottes in die Welt zu verbreiten – gelegen oder ungelegen, vor allem aber verschwenderisch. Nicht die Kirche soll wachsen, sondern die Saat des Wortes Gottes. Manchmal ist es dabei notwendig, umzukehren und anderen den Rücken zuzukehren. Nur Schweigen – Schweigen ist keine Option!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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